Abstract

Familienseminar, 25.-27.11.2011, Hanns Seidel Stiftung
Die Kraft der Rituale und Traditionen in der Familie

Teil 1:
Den Familen-Alltag ohne Rituale leben ist das möglich?

Erwartungen an die nächste Situation, an die immer folgenden "kleinen Verhaltensmomente" (1), die wir leben, sind grundlegend für die Bewältigung des Alltags. Nicht nur ich, sondern ebenso die anderen haben Erwartungen. Dass meine Erwartungen mit den Erwartungen der anderen Übereinstimmungen haben, ist das Ergebnis des Hineinwachsens in eine soziale Welt, die wir von Geburt an mit anderen teilen.
Vertrauen haben in das, was uns im nächsten Moment erwartet, hat für die Bewältigung des Alltags einen zentralen Stellenwert. Warum können wir dieses Vertrauen haben?
Eine wesentliche Eigenschaft von Ritualen ist, dass sie von Wiederholungen lebt, von Handlungen, die sich wiederholen. Die Rituale sind vertraut. Sie sind verinnerlicht und sie müssen nicht weiter hinterfragt werden. Erlebte und gelebte Rituale stellen Erwartungen her, die handlungsleitend sind. Dadurch, dass wir Erwartungen haben und Rituale leben werden wir entlastet.
Wir müssen nicht fortlaufend überlegen, in welcher Situation befinden wir uns eigentlich. Dadurch, dass wir bestimmte Abläufe verinnerlicht haben, nicht nicht mehr reflektieren müssen, könne wir handeln. Wir würden ohne diese Handlungserwartungen über das Denken nicht hinauskommen. Wir wären handlungsunfähig.
Hinzu kommt, weil wir Handlungen verinnerlicht haben, haben wir Freiräume des Denkens geschaffen, Kapazitäten, die es uns ermöglichen, über andere Dinge nachzudenken. Über Dinge, die das Hier und Jetzt überschreiten. Wir alle, jede Person, jede Familie, jede Gruppe und jede Gesellschaft lebt Rituale auf eine jeweils eigene Art und Weise, die nicht beliebig ist, sondern genährt wird von dem, was in der Vergangenheit und im Jetzt liegt. Mitgetragen werden diese auch, weil sie mit anderen Menschen auf eine bestimmte Art und Weise zusammenleben. Dadurch, dass wir Rituale immer wieder neu leben, werden sie zu dem was sie sind. Und wir geben Sie an unsere Kinder und an die nächste Generation weiter. Sie wirken in der Zukunft.

(1) vgl. Erving Goffman (1971), Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt. Suhrkamp. S.7.